Kapitel XXIII.
Nachtisch
Der Mensch ist ein Sein. Weil er ein Sein ist, deshalb ist er gut. Der Mensch ist ein sehr gutes Sein. Weil er ein sehr gutes Sein ist, deshalb ist er heilig. Der Mensch ist also ein sehr gutes und heiliges Sein. Als Sein hat der Mensch nicht ein Selbst, sondern er ist ein Selbst.
Die fundamentale Irrlehre der christlichen Religionen, sofern es sich um eine Religion oder institutionelle, und damit hierarchisch konstituierte Kirche handelt, ist, dass es keinen Gott gibt. Diese Behauptung von mir kann zunächst einmal Verwunderung oder Widerspruch auslösen.
Wer aber behauptet, dass der Mensch ein böses Sein ist, „erhebt Anklage gegen das Werk Gottes, den Menschen, und fällt unter den Urteilsspruch des Propheten.“ *
Und was ist es denn anderes als Gott zu leugnen, wenn ihm offen widersprochen wird? „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib.[…] Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.” Genesis 1:26-31
Und zu einem bösen Sein ist der Mensch erdacht und konstruiert worden; denn wenn er bereits als „Sünder“ gezeugt, empfangen und geboren wird, was soll das anderes sein, als ein böses Sein? Oder ist denn Sünde gar etwas gutes und nicht etwa böse? Ich kann nicht bekennen, dass Gott der Schöpfer allen Seins ist und gleichzeitig fantasieren, dass der Mensch ein böses Sein ist – es sei denn es herrscht eitel Freude, ihn den Herrn der Welten, zum Gespött machen zu können. Wäre der Mensch – und nach Ansicht dieser Irrlehre ist es so – tatsächlich ein böses Sein, wird Gott, der Vater, zum Urheber des Bösen gemacht. Aber weder hat er das Böse geschaffen, noch lässt er es zu. Es sei denn, Gott wird für einen Demiurgen (griechisch δημιουργός dēmiourgós „Handwerker“) gehalten, dem sein Werk nicht geglückt ist.
Der Mensch ist ein gutes Sein. Was ihm mangelt ist, dass er nicht in unveränderlicher Weise gut ist. Das Gute kann gemindert und vermehrt werden. Es kann verdorben werden. Wird es gemindert oder verdorben, so ist das etwas Böses. Und das verdorbene ‚gut-sein‘, nennt sich Sünde und dem in seinem ‚Gut-Sein‘ verdorbenen Menschen, dies nennt sich Sünder. Als Mensch ist er also gut, als Sünder hingegen ist er böse. Es besteht also für den Menschen sowohl die Möglichkeit Sünder zu werden als auch nicht Sünder zu sein. Aber von Natur aus ist der Mensch ein sehr gutes und heiliges Sein, und kein schlechtes, verdorbenes Gut oder ein Sünder und damit ein böses Sein.
* Augustinus in Glaube, Hoffnung und Liebe
St. Benno-Verlag GmbH Leipzig 1982, Kapitel 13, S. 25-26
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