Demokratie
im Verständnis von Karl Marx
Die »entwickelte Idee« von der Demokratie
Die Demokratie ist die Wahrheit der Monarchie, die Monarchie ist nicht die Wahrheit der Demokratie. Die Monarchie ist notwendig Demokratie als Inkonsequenz gegen sich selbst, das monarchische Moment ist keine Inkonsequenz in der Demokratie.
Die Monarchie kann nicht, die Demokratie kann aus sich selbst begriffen werden.
In der Demokratie erlangt keines der Momente eine andere Bedeutung, als ihm zukommt. Jedes ist wirklich nur Moment des ganzen Demos. In der Monarchie bestimmt ein Teil den Charakter des Ganzen. Die ganze Verfassung muß sich nach dem festen Punkt modifizieren. Die Demokratie ist die Verfassungsgattung.
Die Monarchie ist eine |231| Art, und zwar eine schlechte Art. Die Demokratie ist Inhalt und Form. Die Monarchie soll nur Form sein, aber sie verfälscht den Inhalt.
In der Monarchie ist das Ganze, das Volk, unter eine seiner Daseinsweisen, die politische Verfassung, subsumiert; in der Demokratie erscheint die Verfassung selbst nur als eine Bestimmung, und zwar Selbstbestimmung des Volks. In der Monarchie haben wir das Volk der Verfassung; in der Demokratie die Verfassung des Volks. Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen. Hier ist die Verfassung nicht nur an sich, dem Wesen nach, sondern der Existenz, der Wirklichkeit nach in ihren wirklichen Grund, den wirklichen Menschen, das wirkliche Volk, stets zurückgeführt und als sein eigenes Werk gesetzt. Die Verfassung erscheint als das, was sie ist, freies Produkt des Menschen; man könnte sagen, daß dies in gewisser Beziehung auch von der konstitutionellen Monarchie gelte, allein der spezifische Unterschied der Demokratie ist, daß hier die Verfassung überhaupt nur ein Daseinsmoment des Volkes, daß nicht die politische Verfassung für sich den Staat bildet.
Hegel geht vom Staat aus und macht den Menschen zum versubjektivierten Staat; die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum verobjektivierten Menschen.
Wie die Religion nicht den Menschen, sondern wie der Mensch die Religion schafft, so schafft nicht die Verfassung das Volk, sondern das Volk die Verfassung.
Die Demokratie verhält sich in gewisser Hinsicht zu allen übrigen Staatsformen wie das Christentum sich zu allen übrigen Religionen verhält. Das Christentum ist die Religion vorzugsweise, das Wesen der Religion, der deifizierte Mensch als eine besondre Religion. So ist die Demokratie das Wesen aller Staatsverfassung, der sozialisierte Mensch, als eine besondre Staatsverfassung; sie verhält sich zu den übrigen Verfassungen, wie die Gattung sich zu ihren Arten verhält, nur daß hier die Gattung selbst als Existenz, darum gegenüber den dem Wesen nicht entsprechenden Existenzen selbst als eine besondre Art erscheint.
Die Demokratie verhält sich zu allen übrigen Staatsformen als ihrem alten Testament. „Der Mensch ist nicht des Gesetzes, sondern das Gesetz ist des Menschen wegen da“, es ist menschliches Dasein, während in den andern der Mensch das gesetzliche Dasein ist. Das ist die Grunddifferenz der Demokratie.
Alle übrigen Staatsbildungen sind eine gewisse, bestimmte, besondere Staatsform. In der Demokratie ist das formelle Prinzip zugleich das materielle Prinzip. Sie ist daher erst die wahreEinheit des Allgemeinen und Besondern.
In der Monarchie z.B., in der Republik als einer nur besondern |232| Staatsform, hat der politische Mensch sein besonderes Dasein neben dem unpolitischen, dem Privatmenschen. Das Eigentum, der Vertrag, die Ehe, die bürgerliche Gesellschaft erscheinen hier (wie dies Hegel für diese abstrakten Staatsformen ganz richtig entwickelt, nur daß er die Idee des Staats zu entwickeln meint) als besondre Daseinsweisen neben dem politischen Staat, als der Inhalt, zu dem sich der politische Staat als die organisierende Form verhält, eigentlich nur als der bestimmende, beschränkende, bald bejahende, bald verneinende, in sich selbst inhaltslose Verstand.
In der Demokratie ist der politische Staat, so wie er sich neben diesen Inhalt stellt und von ihm unterscheidet, selbst nur ein besondrer Inhalt, wie eine besondre Daseinsform des Volkes. In der Monarchie z.B. hat dies Besondre, die politische Verfassung, die Bedeutung des alles Besondern beherrschenden und bestimmenden Allgemeinen. In der Demokratie ist der Staat als Besondres nur Besondres, als Allgemeines das wirkliche Allgemeine, d.h. keine Bestimmtheit im Unterschied zu dem andern Inhalt.
Die neueren Franzosen haben dies so aufgefaßt, daß in der wahren Demokratie der politische Staat untergehe. Dies ist insofern richtig, als er qua politischer Staat, als Verfassung, nicht mehr für das Ganze gilt.
In allen von der Demokratie unterschiednen Staaten ist der Staat, das Gesetz, die Verfassung das Herrschende, ohne daß er wirklich herrschte, d.h. den Inhalt der übrigen nicht politischen Sphären materiell durchdringe. In der Demokratie ist die Verfassung, das Gesetz, der Staat selbst nur eine Selbstbestimmung des Volks und ein bestimmter Inhalt desselben, soweit er politische Verfassung ist.
Es versteht sich übrigens von selbst, daß alle Staatsformen zu ihrer Wahrheit die Demokratie haben und daher eben, soweit sie nicht die Demokratie sind, unwahr sind.
Auszug: Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrechts
Karl Marx/ Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 203-333.
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